Dienstag, 4. Februar 2014

Für vielfältige Gleichheit


Queer Lecture: Hans Hütt - Homosexuellenhass
Eine Besprechung von Benno Gammerl


Am 30. Januar 2014 hielt der Publizist, Politikwissenschaftler und Blogger Hans Hütt, auf Einladung von IQN-Queer Nations, eine Queer Lecture über den neuen Homosexuellenhass unserer Zeit im taz Café. IQN-Vorstand Benno Gammerl nimmt in seiner Besprechung eine erste Einordnung vor. 

Vor den Winterkämpfen von Sotschi erreichen uns heute fast täglich Botschaften, die die Diskriminierung von Homosexuellen und die dafür verantwortlichen Schurken in Russland und anderswo mit starken Worten verurteilen. Diese Form der anklagenden Kommunikation ist nicht Hans Hütts Sache. Er setzt dagegen auf die Stärken einer anspielungsreichen Sprache, die nicht immer schon weiß, wo die Probleme liegen und wie sie zu lösen seien, sondern die stattdessen Fragen aufwirft, auf die es keine einfachen Antworten gibt.



Eine dieser Fragen befasste sich mit den Protesten gegen die Öffnung der Ehe für geichgechlechtliche Paare in Frankreich. Über Giorgio Agamben und Alexandre Kojève baute Hütt eine große Brücke zur Spaltung Westeuropas in einen protestantichen Norden und einen katholischen Süden. Auf dieser Brücke stehend konnte man unten im Tal schemenhaft erkennen, wie sich die Bevölkerungen der "Südländer" in ihrem Kampf für traditionelle, lesben- und schwulenfeindliche Werte auch gegen das "nördliche" Diktat einer Austeritätspolitik zur Wehr setzen, die ihren Ländern die materielle Existenzgrundlage zu entziehen droht.



Die Fragen, ob und wie Protestantismus, Austerität und Homophilie miteinander korrespondieren, und welche sinnvollen Strategien sich daraus für den Kampf um die Gleichstellung unter den Bedingungen der europäischen Finanzkrise ergeben, blieben allerdings unbeantwortet.

Stattdessen problematisierte Hütt den zentralen Begriff der Gleichheit, indem er zwischen einer bürgerrechtlichen, tendenziell inklusiven und einer nationalistischen Variante unterschied, die Egalität durch den Ausschluss aller Ungleichen herstellen will. Um solchen Ambivalenzen zu entgehen, konzentrierte sich Hütt auf die Ungleichheit und sang ein "Lob des Unterschieds", sowie - man meinte ein Echo Jean Genets zu vernehmen - ein "Lob des Verrats".



Hütts mitunter verschlungene Denkbewegungen streiften die Biografie Alan Turings, deutsche Sozialversicherungsdebatten, den Song "Small Town Boy" von Bronski Beat sowie die gleichnamige Theaterinszenierung von Falk Richter. Dabei kamen einige zentrale Punkte immer wieder zur Sprache. Der Hass einiger Heteros auf die Homos gründet, nach Hütt, nicht zuletzt darin, dass sie den Schwulen jenes Maß an Freiheit missgönnen, das sie, also die Heteros, sich selbst verweigern – kleinmütig wie sie sind.

Gegen diese auf Ressentiments basierende Anständigkeit brachte Hütt die Figur einer Autonomie in Stellung, die jederzeit offen bleiben müsse für die Wahrnehmung aller möglichen Unterschiede, auch solcher die sich weit jenseits der Kluft zwischen Homos und Heteros entfalten. Diese wachsame Autonomie und dieses Gespür für Differenzen können, so die Hoffnung, zwiespältige Gleichheitspostulate umschiffen und so die offene See eines diskriminierungsfreien Unterscheidens erreichen.


Benno Gammerl, Historiker, Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, ist Vorstand bei IQN.