Samstag, 13. Dezember 2014

Mit Foucault ist nicht gut vögeln?

Rückblick auf die Queer Lecture mit Ulrike Heider im taz.café

„Vögeln ist schön“, heißt das Buch von Ulrike Heider, das im März 2014 erschien. Darin setzt sich die politik- und literaturwissenschaftlich bewanderte Zeitzeugin der sexrevolutionären Jahre um 1968, wie Jan Feddersen in seiner Einführung erwähnte, unter anderem kritisch mit Michel Foucaults theoretischer Rahmung des Sexuellen und der Lust auseinander.

Ulrike Heider und Jan Feddersen im taz.café.

Anlass genug für die Initiative Queer Nations, Ulrike Heider im 30. Jahr nach dem Tod des französischen Poststrukturalisten darum zu bitten, ihre Ablehnung von dessen Thesen zu begründen und zu diskutieren.

Unter dem Titel „Die Abschaffung der Sexualität zugunsten der Religion“ zeichnete Ulrike Heider – ausgerechnet am Festtag der unbefleckten Empfängnis Mariens – Michel Foucault als einen chiliastischen Pathetiker, der nicht zuletzt aufgrund seiner katholischen Schuldverstrickungen unfähig war, das emanzipatorische Potential der sexuellen Revolution anzunehmen.

Anstatt sich auf deren Leitmotive von Freiheit, Gleichheit, Aufklärung einzulassen, habe Foucault, so Heiders Vorwurf, auf der Verknüpfung des Sex mit Geheimnissen, Verboten und Machtwirkungen beharrt. Damit reihte er sich in zwei denkerische Traditionen ein. Einerseits bezog sich Foucault auf den Anti-Humanismus von Friedrich Nietzsche und Martin Heidegger, wobei sich Heider nicht scheute, Verbindungslinien zwischen dessen Rektoratsrede von 1933 und Foucaults Texten anzudeuten.

Andererseits knüpfte er an das transgressive Pathos von Donatien de Sade und Georges Bataille an, für die die Lust eng mit dem Überschreiten von Verboten und mit dem Tod zusammenhing. Von hier aus setzte Heider schließlich zur vielleicht spannendsten Volte ihres Vortrags an, indem sie Foucaults Reden und Schreiben über Sex als zutiefst religiös geprägt charakterisierte und so seine auf den ersten Blick vielleicht überraschende Begeisterung sowohl für die islamische Revolution im Iran als auch für die schwule SM-Szene in San Francisco  erklärte.

Damit habe Foucault letztlich einer Entsexualisierung und Deindividualisierung der Erotik das Wort geredet und sich einem mystischen Verständnis der Lust verschrieben. Auf diese Weise trug er zum konservativ-moralischen Rollback der 1980er Jahre bei, das der von Heider bevorzugten befreiten und aufgeklärten Sexualität sowie den damit verbundenen Hoffnungen auf ein persönliches Glück jegliche Zukunftsaussichten raubte.

Dass es sich lohnen kann, Foucaults Werk kritisch zu hinterfragen, zeigte die angeregte und kontroverse Debatte im Anschluss. Sie kreiste vor allem um die Frage, inwiefern Foucaults Analyse nicht doch hilfreich sein könne, um die auch problematischen Effekte der sexuellen Revolution der 1960er Jahre zu begreifen.

Heider bestritt demgegenüber jeglichen Nutzen von Foucaults Ansatz und beharrte auf den emanzipativen, egalitären und hedonistischen Potentialen der Sexrevolte. Letztlich bedürfe es jedoch einer Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, damit die Ideen von Charles Fourier, Wilhelm Reich und anderen ihre segensreichen Wirkungen voll entfalten könnten.

BENNO GAMMERL

Benno Gammerl ist Vorstand bei Queer Nations e.V.
Er arbeitet am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin.

Ulrike Heiders Vortrag werden wir im ersten Halbjahr 2015 in unserer Queer Lectures-Schriftenreihe beim Verlag Männerschwarm, Hamburg veröffentlichen - als eBook und gedruckt.

Ulrike Heiders Buch „Vögeln ist schön“ ist bei Rotbuch, Berlin erschienen