Samstag, 20. Juni 2015

Unaussprechliches endlich aussprechen


Homosexualität, Strafrecht 
und 
westdeutsche Medien
 zwischen 1969 und 1980

Besprechung der Queer Lecture von
Prof. Michael Schwartz am 11. Juni 2015 im taz.Café Berlin

Von Maria Borowski & Bodo Niendel

Als in der alten Bundesrepublik 1969 die einfache Homosexualität[1] entkriminalisiert wurde, veränderte sich der Umgang mit Homosexuellen im Bereich der liberalen Medien (u. a. Der Spiegel, die FAZ).

Screenshot eines SPIEGEL-Aufmachers aus dem Jahr 1973

Michael Schwartz präsentierte kompakt und aufschlussreich den Diskurs der Homosexuellen-Emanzipationsbewegung, wobei sein Fokus auf den männlichen Homosexuellen lag, weil diese im Mittelpunkt des juristischen und medialen Interesses lagen. Er hielt beginnend fest, dass zwischen 1969 und 1980 ein sich langsam vollziehender Wertewandel in Bezug auf Homosexuelle zu erkennen ist.[2]

Von Homophil zu Homosexuell zu Schwul

Die Veränderungen betrafen die Medien als auch die Männer liebenden Männer selbst. Anfang der Siebziger Jahre herrschte der Terminus „homophil“ als Selbstbeschreibung sowie in den Zeitungen als Fremdbezeichnung vor.

Zum Beispiel gründete sich 1970 noch der Interessenverband Deutscher Homophiler. Wohingegen ab 1972 „homosexuell“ als Eigenbezeichnung genutzt wurde, zum Beispiel die „Homosexuelle Aktion Hamburg“.

Dass der Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (1970) ein ausschlaggebender Faktor bei der veränderten Eigenwahrnehmung war, bezweifelte Michael Schwartz nicht, dennoch würde er den Film nicht als den wichtigsten Punkt benennen wollen, der bestimmte Veränderungen beschleunigte.


Die deutsche Frauenbewegung, die sog. 68er-Bewegung als auch die Ereignisse in Amerika, die zum Christopher Street Day (CSD) führten, spielten eine große Rolle im allgemeinen Wertewandel. Die Medien griffen fortan die Begriffe „homosexuell“ und „schwul“ in ihrer Berichterstattung auf.

Infolge des CSD’s wurden die negativ konnotierten Begriffe wie „schwul“ und „lesbisch“ von den „Betroffenen“ positiv aufgegriffen und als Selbstbezeichnungen angeeignet.

Rufmord stärker als Erpressung

Der Paragraf fiel, aber die Ächtung von Homosexuellen blieb. Zwar nahmen die Erpressungen von Homosexuellen in der Zeit nach 1969 ab, aber die Diskreditierung erlebte einen Aufschwung. Der Rufmord wurde zum Mittel der gesellschaftlichen Ausgrenzung.

Ebenso ausgrenzend wirkte der „Rumpfparagraf“ 175, der homosexuelle Handlungen von Männern über 18 Jahren mit Männern unter 21 Jahren kriminalisierte und der im Vergleich zu Heterosexuellen mit erheblich höheren Strafen einherging.[3]

Michael Schwartz arbeitete heraus, dass in den liberalen Zeitschriften über Homosexualität neutral berichtet wurde. In den Medien wie der BZ oder der BILD sowie bei einigen Politikeraussagen herrschte weiterhin ein diskriminierender Ton. Zum Beispiel sagte, Prof. Horst Ehmke[4] „Entkriminalisierung bedeutete keine moralische Billigung“.

Die Angst vor der Verführung männlicher Jugendlicher zur Homosexualität hinterließ eine anhaltende soziale und gesellschaftliche Ächtung. Laut Prof. Schwartz sicherte der Jugendschutz die heterosexuellen Lebensmodelle und dämmte die Auswirkungen im Zuge der strafrechtlichen Änderungen des Paragrafen 175 ein.

Bundesdeutscher Wahlkampf 1980

Im Wahlkampf 1980 äußerten sich alle Parteien zur Streichung des Paragrafen 175. Zum Beispiel forderte die FDP die vollständige Streichung, weil sie der Meinung war, dass die Strafbestimmungen zum Schutz der Kinder genügen würden.

Die Unionsparteien (Strauß/Zimmermann) äußerten sich stark negativ. Sie plädierten „gegen die ungehinderte Entfaltung von Perversitäten“. Dass in diese negative Aussage die Pädophilie-Debatte Ende der 1970er Jahre[5] hineinspielte, erwähnte Prof. Schwartz erklärend, und verdeutlichte damit die vorurteilsbelastete Verbindung von Homosexuellen und Pädophilen.[6]

Im Wahlkampf 1980 wurde der amtierende Bundeskanzler, Helmut Schmidt (SPD), im Amt bestätigt und es traten keine Veränderungen hin zu einer weiteren Reform oder gar Abschaffung des Paragrafen 175 ein.

Zur Sprache gebracht

Auch wenn in den Achtziger Jahren keine rechtlichen Änderungen durchgesetzt werden konnten, so sprachen aber weiterhin die Medien (Zeitung, Fernsehen) über das Thema Homosexualität und halfen somit einer Minderheit aus der Unaussprechlichkeit heraus.

Zwar war die Berichterstattung nicht immer positiv, aber das Bewusstsein in der Gesellschaft für homosexuelle Belange wuchs. Mit dem Beginn von AIDS veränderten sich abermals die Bilder von Homosexuellen in der Medienlandschaft. Negative Begriffe wie Seuche oder Ansteckungsherd gewannen eine Zeitlang Oberhand.

Doch mithilfe einer gut organisierten AIDS-Aufklärungsarbeit durch schwule Verbände und die neu gegründeten AIDS-Hilfen, von der jeder Bürger profitieren konnte, wandelte sich das Bild in den Medien erneut.

Michael Schwartz konstatierte am Ende des Vortrages, dass kurioserweise AIDS für homosexuell Lebende integrativ in die Gesellschaft gewirkt habe, denn in den Medien wurde vermehrt über Ansteckungsmöglichkeiten bei jeder Art von Sex und über die diversen Sexualitäten gesprochen. Das Unaussprechliche wurde endlich ausgesprochen.

Maria Borowski, Bodo Niendel, Vorstände IQN

Fußnoten:

[1] Sexuelle Kontakte zwischen zwei erwachsenen Männern.


[2] Prof. Michael Schwarz verglich, wenn auch im geringem Ausmaß, seine Aussagen ebenfalls mit den weiblichen Homosexuellen, wobei er feststellte, dass diese Aufarbeitung noch durchgeführt werden müsste. Einen ersten Ansatz legte Clare Bielby in der Lecture vom 6. Februar 2015 vor. Vgl. hierzu die Besprechung von Benno Gammerl.

[3] Erst im November 1973 wurde das Schutzalter der männlichen Jugendlichen auf 18 Jahre gesetzt. Wohingegen zur gleichen Zeit bei Mädchen ein geringeres Schutzalter von 16 Jahren galt. 

[4] Horst Ehmke, 1927 geboren, ist deutscher Staatsrechtler und war zwischen 1969 und 1974 auf verschiedenen Posten der Bundesregierung für die SPD tätig. 

[5] Diese Debatte wurde im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 besonders für die Partei Bündnis 90/Die Grünen erneut bedeutsam und wirkte sich negativ auf das Wahlergebnis aus.

[6] Es gab um 1980 zwar die Zusammenarbeit von Homosexuellen und Pädophilen, doch schon 1979, auf dem Bonner Vorbereitungstreffen der überregionaler Schwulenverbände zur Bundestagswahl 1980 gab es Unstimmigkeiten. Dennoch vertrat der Common-Sense der  Schwulenbewegung letztlich die Auffassung, dass Pädophilie straffrei sein sollte und legte diesen Grundsatz im Zusammenhang mit dem Antrag auf Streichung des §175 der Regierung vor. Schließlich distanzierte sich die Schwulenbewegung ab Mitte/Ende der 1980er Jahre zaghaft von diesen Auffassungen.